Flaschenposts aus meinen Abendteuern in Luxor als Begleitung von Sahra Saeeda bei ihrer tanzethnologischen Forschung in der Zeit von 13.-24. Juli 2015. Ich hatte nie geglaubt, dass mir solch eine Erfahrung auf tänzerischer, menschlicher und kultureller Ebene widerfahren kann. Aber es war wohl einfach meine Zeit, an diesem Ort genau jetzt zu sein, und all diese Lektionen zu lernen und Geschenke anzunehmen, die man sich sonst nur wünscht und nie bekommt.
Und die wichtigste Lektion ist: Vertrauen, dass etwas vorherbestimmt ist, vertrauen, dass man nicht alles selbst "puschen" muss, vertrauen, dass, wenn die Zeit gekommen ist, die Puzzleteile, die die eigene Geschichte ausmachen, zu dieser Geschichte sich auch zusammen fügen werden.
Ich bin gewohnt in meinem Leben einen akribischen Plan zu haben, von vorne bis hinten die Kontrolle zu behalten und zu glauben, dass "wenn nicht ich, dann wer". Doch für die knapp zwei Wochen meiner Reise nach Luxor hatte ich gar keinen Plan, aber Luxor hatte einen Plan für mich und sogar einen Spitznamen, der schnell in Umlauf kam "Dee Dee". Verahzad sagt immer, jeder von uns hat irgendeine Bestimmung, man muss nur raus finden welche... Doch in unserer Zeit, wo jeder von jedem alles sehen kann, und alles in einer unermesslichen Geschwindigkeit passiert, ist es schwierig die Geduld zu haben, auf den eigenen "richtigen Moment" zu warten, ohne den Spuren und Ideen der anderen zu folgen oder mit der Masse zu laufen. "Alles zu seiner Zeit" hat nach dieser Reise eine ganz andere Bedeutung für mich. Und für euch als Geschenk die Flaschenposts aus Luxor. Als ich sie hier zusammenfasste, merkte ich wie immer tiefer und tiefer sie wurden.
Was für ein Zeichen... Ägyptische Flagge im Tee beim Besuch im nubischen Haus |
Shisha-rauchen und künstlerische Gespräche führen über den Dächern von Luxor was will man mehr? |
Flaschen Post aus Luxor #2: ein weiterer Tag ist heute früh gegen 3 Uhr morgens/ nachts (?) zu Ende gegangen. Der Tag ist hier einfach anders... Was alles geschah in den Stunden nach Sonnenuntergang?
Ein Open Air Konzert anlässlich Ramadan-Ende im Cairo-Style war ein Genuss, aber nicht nur das Konzert selbst, sondern das drum herum auch... Shisha-Rauchen auf einem der Dächer über Luxor, wo auch das Foto entstand, in Gesellschaft von Künstlern gehört zu den Erlebnissen, die man länger, nein, sehr, sehr lange im Gedächtnis behalten möchte... Rohrzucker-Getränk, Kaffee, Spaziergang am `kornisch`, Spaß und Ernst, Gespräche, Scherze, Dee Dee, Sasa... Und dann die Stille auf der Fähre und das Plätschern des Wassers, das schon jetzt eine leise Sehnsucht nach diesem Land und dieser unglaublichen Stadt hervorruft...
Flaschen Post aus Luxor #4 (#3 wird nach kommen):
Heute hatten wir die Ehre den Tag bei einer nubischen Familie zu verbringen. Zu Gast bei Gamal Latif zu sein.
Den Gesprächen über die Tradition und Geschichte sitzend auf Dikke-bench zu lauschen, Geschichten und Ereignisse in der Familie (anstehende Uni einer Tochter, Hochzeit der anderen, kleines Kind der dritten, Fußballfieber des Sohnes)...Shisha zu rauchen, den jungen Frauen beim Kochen zu zuschauen. Gemeinsam zu essen. Eigenes Kind zu vermissen. Die Hitze lässt sich in der Galabeya und dem 'Nichtstun' sehr gut ertragen.
Es sind so einfache Dinge, die Seele glücklich machen, und mich heute definitiv die Mangos!
Flaschen Post aus Luxor #3 (Nachtrag):
Jetzt bin ich bereit über das Thema dieses Post zu schreiben,
vielleicht weil es mir gerade sehr nah geht... Die Familie. Mittlerweile waren wir zur Gast bei fünf Familien. Eingeladen zu sein ist ein Privileg. Jedes Mal passiert mit mir das gleiche. Hitze, das pochen des Ventilators, Brummen der Klimaanlage, kleiner Raum mit vielen Menschen. Die alte Uroma sitzt im Schneidersitz auf dem Boden, Oma mit Enkelin auf einem der Dikke, Mutter und Schwester kümmern sich um Tee und biscuits, Männer unterhalten sich und aus dem Fernseher gestikulieren übertrieben deutlich Dina, Lucy und andere....Mein Kopf dreht sich, Konzentration sinkt und Kreislauf spielt verrückt... Warum spielt meiner verrückt und deren läuft im sicheren Kreis? Die Herkunft, die Wurzeln, die Tradition, das Verhalten untereinander und mit einander. So viele Details spielen eine Rolle und geben das Gefühl des Ganzen.
Flaschen Post aus Luxor #5:
Die Nacht der Nächte... Was ist das anspruchsvollste und das einfachste Publikum gleichzeitig?! Saidi- Hochzeitsgesellschaft. Stolze Männer, mit einer Wahnsinns Charisma (bitte nicht falsch verstehen, es ist reine Beobachtung), lallende, unglaublich hübsche Frauen, übergestylte Kinder. An die Hitze draußen und im Herzen gewöhne ich mich langsam.
Die Rababa Band spielt, es kommt eine "Tahaja" nach der anderen, bis unser Begleiter auch Tipps gibt und Sahra C Kent und ich zum Tanzen aufgefordert werden. Erst neben der Band merke ich, dass um uns ein neugieriger Kreis entstanden ist, das sehr einem Meer aus Galabeyas in verschiedenen grau und braun Tönen, durchmixt von bunten Frauenkopftüchern, gleicht. Die ersten Töne, erst zurückhaltende Hüftkicks und die ersten Rufe der Begeisterung, der Trommler greift uns auf und das Galabeya-Meer wird von Lichtern durchbrochen, jeder zweite hält sein Smartphone in die Luft und nimmt uns auf. Takt nimmt zu, und keine dreißig Sekunden später tanzen alle zusammen, miteinander, füreinander! Als mich eine Hand Richtung Musiker zieht und mit einem schwups ich auf dem gleichen Podest mit ihnen stehe, wo genau nur meine Füße passen, spüre ich den Unterschied. Ich tanze. Auf der kleinsten Bühne der Welt. Mit viel weniger und so vielem mehr. Hier in Ägypten macht das Tanzen und die Tänzerin glücklich. Und diese Energie habe ich so lange gesucht....
Eine Straße weiter ist Männer-Party vor der Hochzeit, Shaaby Musik, Frauen tanzen und ihre Hüften scheinen kein geringeres Training als die der berühmten Tänzerinnen zu haben. Nur dass die Galabey den Bewegungen viel mehr Touch gibt. Mir wird ein Schal umgebunden und eine nach der anderen tanzen wir im Kreis. Bei den Mädchen merke ich die Bewegungen aus den Videoclips, die sind sooooo süß. Shaaby Remix erklingt und an die zehn Jungs springen auf die Tanzfläche, mindestens einer tanzt mit Messern, andere versuchen sich in Breakdance. Die Mädchen mischen die Bewegungen der Jungs mit der eigenen. Ist das der Wahnsinn! Eine Frau nimmt mich an die Hand und führt ins Haus. Keine Ahnung in welcher Sprache, aber wir haben uns verstanden, morgen wieder... Nach einem gekühlten Karkade fahren wir heim.... Was für eine Nacht....
Flaschenpost aus Luxor #6: Heute gab es die Berge zu erklimmen. Unter der Hitze des Gemüts kreisen die Gedanken um die Bedeutung von "initiation" und über die Aufgaben, die jeder einzelne zu tragen hat. Die Erlebnisse der Nächte beschäftigen den Tag. Die Zeichen, die man bekommt, und die Chancen, die man verpasst. Und das Bauchgefühl, dem man manchmal zu wenig Beachtung schenkt.
Tanz als reine Unterhaltung hat mich gestern Nacht über eineinhalb Stunden beschäftigt, gefesselt, fasziniert. Die Tänzerin unterhielt ihr Publikum, begleitet von zwei Sängerinnen, all diese Zeit, ohne Pause. Die Tatsache, passiver Zuschauer und aktiver Tänzer sein zu dürfen, ändert die Einstellung sehr. Nicht jemand bemüht sich dir zu gefallen, sonder dich zu unterhalten, glücklich zu machen und schließlich dazu zu bewegen aus Freude selbst zu tanzten. Statt dieses Bedürfnis zu unterdrücken und nur der Zuschauer zu sein, und schließlich die Tänzerin auseinander zu nehmen, wie es nicht selten im Westen der Fall ist. Außerdem unterhält man hier die Leihen und nicht die Tänzer...
Die Tänzerin als Schlüssel zu Freude und nicht der ganze Motor ist ein interessanter Gedanke, der mich hier sehr bewegt.
Wenn man dran bleiben möchte, kann man das gerne auf das Lehren übertragen. Auch der Lehrer als Schlüsselgeber und kein Ausbilder, der einen formt, kreist in meinem Kopf...
Wenn man dran bleiben möchte, kann man das gerne auf das Lehren übertragen. Auch der Lehrer als Schlüsselgeber und kein Ausbilder, der einen formt, kreist in meinem Kopf...
Mittlerweile vertrage ich das ägyptische Wasser, schlafe mittags und mache die Nächte durch... Das gibt viel Ruhe in der Unruhe, einen Kompot aus Gedanken aber auch die Zeit zum Nachdenken...
Flaschen Post aus Luxor #7:
"Balance zwischen Zurückhaltung und Hingabe", diesen Ausdruck fand ich heute im Buch von Wendy Bounaventura (S.193) in einem anderen Zusammenhang, was aber genau mein Erlebnis der letzen Nacht wortwörtlich auf den Punkt bringt und worüber Sahra C Kent und ich heutige Gespräche geführt haben. Vielleicht eine der schwierigsten und langfristigen Aufgabe einer Tänzerin.
"Balance zwischen Zurückhaltung und Hingabe", diesen Ausdruck fand ich heute im Buch von Wendy Bounaventura (S.193) in einem anderen Zusammenhang, was aber genau mein Erlebnis der letzen Nacht wortwörtlich auf den Punkt bringt und worüber Sahra C Kent und ich heutige Gespräche geführt haben. Vielleicht eine der schwierigsten und langfristigen Aufgabe einer Tänzerin.
Die Atmosphäre der Location, die Stimmung der Menschen, die Führung der Musik und den Anlass aufzugreifen und zu respektieren, ohne an den eigenen Vorteil zu denken, ist eine der Lektionen, die mir hier in Oberägypten widerfahren ist.
Jede Nacht hat ihren Anlass, ihre Musik und ihre Stimmung. So viele Facetten der Happines habe ich noch nie in meinem Leben erlebt. Dass ein Gefühl viele Nuancen und Töne innerhalb seiner Farbe haben kann, erklärt die Bedeutung der Maqame in der Orientalischen Musik und die Verzwicktheit der arabischen Natur.
Das Annehmen, dass die Menschen an dich glauben und dir etwas zutrauen, ist eine andere Aufgabe, die diese Reise mir mit auf den Weg gibt...
Khafafa - eine der vielen Partys während der Hochzeitsfeierlichkeiten. Hier während der "Laylet al Henna" (Henna-Nacht) auf der Seite der Männer |
Kommentar vom facebook zum Video von Masry Anyway "No one will dance withe this band for this audience unless 1 self trust 2 down to earth 3 great dancer. 4 love Egypt .I love it. Thank you" and "I watched your video more than once .I can't believe in few seconds people respect and loved your dance in louxr .This is really woow."
Flaschen Post aus Luxor #8:
Die gestrige Nacht war gekennzeichnet von Manpower, Adrenalin und einem daraus resultierenden High-Sein-Zustand. Wenn Pferde tanzen, Kinder klatschen und die ganze Location in eine Wolke von Rauch, Mizmar Sound und wellenartigen Aufregung versinkt, werden die Stunden zu Minuten, und dann bricht alles wie in einem Ausatmen ab. So wie die Spannung, so sinken auch die Menschen von Dikka(s) auf die Teppiche und vertiefen sich in die unendlichen Gespräche, während die Jungs die Shishas und Tee austeilen. Eine andere Band baut für Kafafa auf und für uns heißt es "Zeit zu gehen". Freundschaften zwischen Männern, Freundschaften zwischen Frauen, feste Bindungen und Verbindungen. In einer komplett anderen Welt zur Gast zu sein, aber dennoch sich respektiert, beschützt und umsorgt zu fühlen, ist manchmal überraschend.
Den Rest der Nacht verbrachten wir in einem ruhigen Café am Nil, beim Domino spielen und einer Menge Scherz auf meine Kosten. Das Autofahren war die Belohnung. Mit sehr wenig Gefühl für die ägyptischen Straßen hat das Auto mich überlebt und ich habe den Test mehr oder weniger bestanden „wink“-Emoticon
und mit seiner rauen Stimme sagte der Vater von Megahed Kinawe mit einem Nicken in Richtung des Jungen "Sai´di"! |
Spontan wurden wir zu einer weiteren Hochzeitsfeier eingeladen und es gab, oh ja, TAHTIB! Um 16 Uhr, unter praller Sonne bei gefühlten 80° C, ließen sich die Musiker nieder. Sahra C Kent und ich schauten uns um, denn aus einem der Häuser kamen Musik, Klatschen und Saharit, doch alle Fenster waren zugehängt. Also, Frauenparty. Es erklang die erste Melodie der Mizmar... Eins nach dem anderen öffneten sich die Fenster und Türen, und mit neugierigen Blicken und breiten Lächeln schauten Frauen heraus. Junge, alte, mit Kleinkindern auf dem Arm, in schwarzen und bunten Galabeya's. Sie richteten die Schleier, einige holten die Teppiche raus und platzierten sich direkt neben den Häusern. Immer wieder begleiteten sie das Geschehene auf dem Platz mit Klatschen, Lachen und Saharit...
Innerhalb der nächsten Stunde tanzten einige Männer Asaya, während die anderen eintrafen. Jungen liefen mit Wasser, Tee und Shisha rum. Es schien so, als gäbe es keinen Überblick über die Gäste, und doch wurde jeder versorgt. Die Jüngeren ließen den Älteren Platz, holten stattdessen noch mehr Stühle und Teppiche. Alles geschah während es geschah. Ohne eine Aufforderung begrüßten die ersten "Kämpfer" einander und begannen den Wettbewerb. Kleine Mädchen liefen über den Platz, sofort liefen zwei etwas ältere Jungen ihnen hinterher, hielten die Stöcke beschützend in der ausgestreckten Hand an der Seite der Mädchen, wie eine Schranke, und jagten sie so vom Platz. Ein anderes Kind lief zum zehnten Mal zum Vater hin, der für die Organisation verantwortlich zu sein schien. Weil das Mädchen immer wieder kam, schickte er es diese Mal nicht weg, sondern hob es über Schulter, Kopfüber hängend und kreischend vom Vergnügen. Die beiden boten eine wunderbare Ansicht. Der große Saidi-Mann mit einem knall pinken Kleinkind über die Schulter sorgte voll der Ernsthaftigkeit für Ordnung.
Ein Kampf nach dem anderen bot unterschiedliche
Energien. Die Geduld, gepaart mit Präzision der älteren Herren, gegenüber dem Drang mit protzigen, viel zu schnellen und nicht selten
gefährlichen Energien der jüngeren Männer, wechselten sich genau wie die Reaktionen der Zuschauer ab.
Die Ungeduld der Jüngeren, dass es endlich was geschieht, gegenüber dem Gelächter der Älteren über die sprudelnde
Unüberlegtheit der Jugend.
Der Wettkamp sollte durch Tanz aufgelockert werden, die Band begann die Tanzmelodie zu spielen und wir wurden aufgefordert mitzumachen. Zurückhaltend und aufmerksam versuchte ich der Melodie der Mizmar zu folgen und beobachtete begeistert Sahra's Sicherheit. Sie tauchte ab und wieder auf, griff die Melodie auf, blieb im Takt, wechselte die Dynamik wie es ihr gefiel.
Der Wettkamp sollte durch Tanz aufgelockert werden, die Band begann die Tanzmelodie zu spielen und wir wurden aufgefordert mitzumachen. Zurückhaltend und aufmerksam versuchte ich der Melodie der Mizmar zu folgen und beobachtete begeistert Sahra's Sicherheit. Sie tauchte ab und wieder auf, griff die Melodie auf, blieb im Takt, wechselte die Dynamik wie es ihr gefiel.
Eines der wenigen Momente des Tanzens zusammen mit Frauen, ein Genuss voller Freude und Respekt. |
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