Samstag, 8. März 2014

10 Gründe für Kind und Tanz

Zuerst möchte ich darauf hinweisen, dass es sich hierbei um persönliche Erfahrung handelt. Die Entscheidung, Kinder zu haben oder nicht, bestimmt nicht über den Wert der Frau oder ihr Charakter. Diese Entscheidung ist jedem selbst überlassen und wird auch seine Gründe haben. Aus der Sicht einer Mutter kann ich jetzt sagen, dass allein die Aussage „man muss sich zwischen Kind und Karriere oder dem Tanz entscheiden“ nicht gestellt werden darf. Man kann sich für die eine oder die andere Haarfarbe, Kleidungsstück, Musik, Lehrer, Arbeitsstelle, sogar Mann entscheiden, aber man kann schlecht Karriere mit einem Kind vergleichen bzw. das eine von dem anderen abhängig machen. Es führt nur zum Unglücklichsein. Denn kein Kind wünscht sich, dass seine Mutter für ihn etwas aufgibt. Und solange deine Kariere glänzt und schimmert, weißt du nicht, ob sie alleine dich in der Zukunft glücklich machen wird. Auch wenn du in deiner Karriere etwas erschaffst - Kunst, Tanz, Mode, Musik, Gebäude - es sind Werke. Mit einem Kind erschaffst du LEBEN. Die Karriere und der Erfolg können sich in Geld, Applaus, Aufmerksamkeit, Liebe äußern, doch niemals wird dein Werk zu dir sprechen, dir Fragen stellen, dich nachahmen, dich ärgern und dich lieben, und zwar permanent, ohne dass du das einfach lassen kannst und ein anderes, besseres Werk schaffst... Mit Kind erfährst du das alte neu – Disziplin, Ordnung, Organisation, Müdigkeit, ABER alles in einer anderen Dimension. Stell dir die Frage: „will ich ein Kind, will ich eine Mutter sein?“. Aber mach das nicht vom Tanz oder deiner Kariere abhängig. Du wirst mit Müdigkeit, Bakterien und Viren, schlechtem Gewissen gegenüber dem Tanz und gegenüber dem Kind zu kämpfen haben, aber auch Zwangspausen, neue Energie, das Loslassen und Akzeptieren, die Weiblichkeit und Mutterglück kennen lernen und die ganze (Tanz-) Welt mit anderen Augen sehen. Du wirst weinen und du wirst lachen und wenn du beides wirklich willst, wirst du es auch schaffen!*

I. Tanzen und Baby.... (0-3 Jahre). Ab dem 3. Lebensjahr wird ALLES einfacher :) aber bis dahin.....



Phase 2: die höchste Freude
Nichts auf dieser Welt kann mit dem Moment der Freude verglichen werden, wenn du das Kind zum ersten Mal schreien hörst. NICHTS. Es ist einmalig, die Welt bleibt stehen, die Zeit ist eingefroren – DU hast ein Leben erschaffen. Ein noch kleines, hilfloses Wesen wird dir auf die Brust gelegt. Klitzekleine Finger umarmen deinen Zeigerfinger, du hörst das kleine Herz schlagen und spürst die Wärme. DU hast ein neues Leben erschaffen. Es ist der Moment, wo es kein gestern mehr gibt und noch kein morgen. Als ob eine Glocke über das Bett mit dir und dem Baby und deinem Partner gelegt wurde – Freude. Menschliche, doch irgendwie höhere. Freude mit Körper, Herz, Seele und Verstand.

Phase 1: die schlimmsten Schmerzen
Die Wehen – gehören einfach dazu... und auch wenn du am nächsten Tag oder in den nächsten Wochen nichts vom zweiten Kind hören willst, wirst du spätestens nach einem Jahr sich nur dunkel daran erinnern.

Phase 3: die scheinbare Nichtexistenz und völlige Hilfslosigkeit
In den ersten Wochen wird das ganze Leben von heute auf Morgen umgestellt. Egal wie gut du dich darauf vorbereitest, es funktioniert nicht. Es dreht sich alles nur um das Kleine: stillen, wiegen, Windeln wechseln, stillen, wiegen, Windeln wechseln... zur Abwechslung Baden, rätseln, warum es schreit. Schlafen und duschen werden zum Luxus. Das Gefühl, eine Milchproduktionsmaschine zu sein, ist der Realität ganz nah. Dein Wortschatz bekommt neue Vokabeln wie Milchpumpe, Sterilisator, Brusteinlagen, Still-BH... Es ist die Zeit, in der die Gedanken, jemals wieder Tanzen zu können, ganz weit weg sind. Die Faszination für das kleine Wesen ist unbeschreiblich - die ersten Laute, die unkoordinierten Bewegungen, das zahnlose Lächeln machen die schlaflosen Nächte wieder gut... PS: glaube nicht der idyllischen Werbung von Nivea und Co... wo sowohl schwangere als auch Mütter immer scheinen glücklich, ausgeruht und perfekt zu sein – das ist absolut gelogen.

Phase 4: es gibt eine Welt außerhalb der Bauchtanzszene
und diese lernst du bei Rückbildungsgymnastik, Babymassage, Pekip, Babyschwimmen und Müttertreffen lernen... Im schlimmsten Fall unterscheiden sich beide kaum voneinander, denn nicht nur andere Tänzerinnen, sondern auch andere Muttis scheinen alles perfekt hinzubekommen, sie strahlen und freuen sich unglaublich über die Gespräche über die Farbe der „Kinder-Kaka“... Auch ihre Sprösslinge scheinen perfekt erzogen zu sein... (falls du in diese Perfekte-Mamis Frustration kommst, empfehle ich dir die Buchreihe „die Muttermafia“)

Phase 5: SCHRECK
"Der Bauchmuskel ist weg". Die Muskelbeherrschung ist lahm gelegt. Statt eines muskulösen Bauches hast du eine Schicht Gewebe hängen. Dazu ist der gerade Bauchmuskel zur Seite gedrückt - Rektus-Diastase. Panik! Aber nur kurz. Wende dich an Frauenarzt und Hebamme. Ich hatte Glück, beide waren von meinem „Beruf“ fasziniert und haben das Problem und meine Sorgen ernst genommen. Mit ein Paar Übungen und etwas Schmerzen kriegt man den Muskel (fast) wieder zusammen. Und weil dein Körper sich an die Fähigkeiten wie z.B. Bauchwelle zu machen erinnern kann, kriegst du das mit etwas Training auch wieder hin und entdeckst vielleicht auch ein Paar neue Muskeln...

Phase 6: Organisation, vorausschauendes Handeln und Verlagerung des Fokus von „ICH“ auf „DU“:
Du lernst, dass für EIN Tanz-Wochenende du ZWEI Wochen lang Milch abpumpen und einfrieren und den halben Haushalt zu Großeltern bringen musst, damit du ruhig sein kannst. Und dass du während des Wochenendes weiter abpumpen, damit du kein Milchstau bekommst, und danach mindestens einen Tag lang schreiendes Kind ertragen musst, da die Milch wegen der körperlichen Anstrengung zum Teil verbrannt ist... Der Handy-Akku hält nicht so lange, wenn du alle 30 min anrufst, um zu fragen, ob alles in Ordnung sei... Du lernst deine Essgewohnheiten nach dem Kind zu orientieren, verzichtest, geduldest... oder erträgst die Konsequenzen.

Phase 7: Loslassen, akzeptieren, vertrauen
Du erfährst, wie das erste Festival, nachdem du das Kind untergebracht hast, unerträglich und langweilig ist, weil deine Gedanken ständig bei dem Kleinen sind und dein Herz Sehnsucht danach hat. Nach dem dritten Festival lernst du den Menschen (die auf dein Kind aufpassen) zu vertrauen und die Zeit für dich selbst zu genießen.
Wenn du vorher das Private und die Bühne gut trennen konntest, dann könnte es passieren, dass harte Proben auf dich zukommen und du über dich hinaus wächst, weil du vor einer Show vom Partner mit der Nachricht angerufen wirst, dass das Kleine in die Notaufnahme muss, weil es bricht. Dein Herz zerreißt, aber leider bist du 1000 von Kilometern weit weg und musst in einer Stunde auf der Bühne glänzen und lachen und das Glück „verkaufen“ und wieder lernen auf andere zu vertrauen. Glaube mir, spätestens in solchen Augenblicken wirst du die Szene und die Gespräche/ Probleme ganz schön oberflächlich finden... Gewöhne dich dran.

Phase 8: Zeit

In den ersten Jahren, solange die Entwicklung des Kindes rasant ist, nimmst du die Zeit anders war. Du lernst, dass ein Tag, wenn das Kind bei Großeltern ist, 48 Stunden lang ist. Ein Jahr dagegen ganz kurz. Denn es passen 4 mal Bronchitis, 12-14 Infekte, die ersten Schritte, die ersten Worte, die ersten Ansprüche, das erste „Mama, ich habe dich so lieb!“ rein. Und die Begeisterung. Begeisterung für die kleinsten Dinge, für den Schnee, der evtl. im ersten Jahr des Wahrnehmens als weißer Regen durchgehen muss... für Fliegen, für Wind, die Sonne... Geräusche, die Musik...
Dir wird bewusst, wie viel ein Augenblick Wert ist, und dass Verschieben auf Morgen ganz böse enden kann. Denn, wenn du das Kleine zwischen 8 und 14 Monaten noch ruhig auf dem Schoß sitzen hast, läuft es dir schon mit spätestens 16 Monaten davon und will auf gar keinen Fall mehr auf dein Schoß (außer es ist krank oder müde). Will es mit 2, dass du singst und bis zum Einschlafen da bleibst, so will es vielleicht mit 2,5 im eigenen Bett, alleine und ganz selbständig einschlafen...

Phase 9: die Lernphasen in Stichpunkten ;)

  • wenn du dachtest, dass du viele Schuhe hast, so wirst du erfahren, dass zwischen 2. und 3. Lebensjahr die Schuhauswahl deines Kindes evtl. größer ist als die deine...
  • dass man ein Kostüm-BH auch auf dem Kopf tragen kann, und es passt
  • es kennt all deine Lieder und die Accessoires dazu, ab jetzt brauchst du alles doppelt. Während du dich schminkst, fragt es dich, ob du jetzt arbeiten=tanzen gehst und ob du mit Stock oder Schleier tanzt
  • Die Begeisterung, die in den Ratgebern unter „sieh die Welt mit Kindesaugen“ bezeichnet wird, wird dir geschenkt, und das über Jahre.
  • Du lernst Disziplin, Verantwortung, Multitasking und gestaffeltes Denken und Müdigkeit in einer anderen Dimension...
  • Du lernst spontan zu handeln, weil die Pläne nichts mehr taugen. Dass du evtl. deinen Kurs auf dem Weg zum Unterricht planen musst und die Choreographien nicht mehr so ausgearbeitet werden können, wie vorher
  • du lernst, dass die Kindersperren gar nichts taugen und deine Fotos mit Stars und Freunden schnell im Mühleimer landen. Dass die Lautstärke regulieren sehr spannend ist, dass das Kleine eigenständigen Geschmack, was Videos und Musik angeht, hat und du dich nicht einmischen darfst.
  • Du erfährst, dass du zu unmöglichen Dingern fähig bist... Denn wenn du vorher geschafft hast zu arbeiten, dann schaffst du jetzt zu arbeiten, windeln zu wechseln, gesund zu kochen, morgens den Kinderratgeber zu lesen und abends die Spielzeuge zu reparieren. Mit Kind auf dem Arm Choreos auszudenken und sich wundern, wenn das Kind irgendwann mal deine Musik anmacht und sagt: „Tanz Mama!“
  • Mit Kind gehst du über die Grenzen, die du dir gar nicht ausmalen kannst, du wächst, bekommst Flügel, fällst tief und stehst wieder auf. Musst du auch. Denn jeden Morgen ist jemand da, der dir auf die Nase drückt und mit einem breiten Lächeln sagt: „Mama, bin wach, lass uns spielen!“
  • Weiblichkeit
  • Du lernst eine selbstlose Liebe kennen, den dein Kind sucht dich nicht aus, es kennt dich nicht, aber es liebt dich

10. Das Fazit (mein facebook-Posting vom 8. November 2011 – aber immer noch aktuell): Kinder lassen uns auf dem Boden bleiben... Wenn du um 6 Uhr morgens, nach nur drei Stunden Schlaf und vier beeindruckenden und erfolgreichen Tagen auf den Festivals mit einem „Mama! Njam, Njam (will Essen) und einem breiten Lächeln geweckt wirst, dann wird die Erinnerung an den Applaus ganz schnell in den Schatten gestellt! Und das Beste ist, dass diesem kleinen Wesen es egal ist, ob du Augenringe hast oder toll geschminkt bist, es liebt dich so oder so...

11. Ein ganz realer ARBEITSTAG mit Baby/ Kleinkind:
  • 5:00 Uhr die Kleine ist wach
  • 5:30 Uhr bin ich auch endlich wach, nachdem ich bis 01:00 Uhr gekocht und gefacebookt habe
  • 5:30-7:30 Uhr duschen x 2, anziehen x 2, Brot für die Krippe schmieren, dabei selbst ein Joghurt essen.
  • 8.15 endlich raus aus dem Haus, da die Kleine noch Pipi musste und der Tiger statt den Bären mit sollte, weil der Bär ja schon gestern mit war
  • 8:45 durchatmen und fragen, was steht an... Los geht’s
  • Bank
  • 1 Stunde bei Mc Mails beantworten und Latte genießen, weil der nächste Termin um eine Stunde verschoben wurde
  • Näherin aufsuchen, um das nächste Kostüm zu bestellen
  • Beim Finanzamt die Unterlagen 2 min vor Schluss abgeben (so viel Glück hat man aber nur selten)
  • auf dem gesamten Weg mit der Freundin wegen der nächsten Veranstaltung telefonieren
  • Sonnenstudio
  • 13.00 Uhr mit der Begrüßung „Mama ist da!“ wieder in die Mama-Rolle schlüpfen, nach Hause fahren, Fragen stellen und beantworten...
  • während die Kleine Mittagschlaf macht, „Mittagessen“ und Büro machen, für die Kurse sammeln
  • 14.35 Uhr SMS von Babysitterin, dass sie ihren Bus verpasst hat. Panik, da die Tanzproben mit Kids um 15 Uhr starten... Kind wecken, anziehen, ins Auto packen, auf dem Weg Babysitterin Bescheid geben, dass sie die Kleine vom Studio abholen und dann mit dem Bus nach Hause fahren soll (ungeplanter Spaß für die Kleine, da sie das Busfahren liebt)
  • 15.00-20.00 Uhr Kurse, Proben...
  • 20.30 wieder zu Hause, vorlesen, erzählen, schlafen legen. Über den Sinn des Lebens nachdenken und wenn Du nicht eingeschlafen bist, dann bis 24 Uhr Wäsche machen, Haushalt, dem Tiger die Pfote annähen (hat den Besuch in der Krippe nicht überstanden) oder Steinchen an Kostüm nähen
  • irgendwann mal schlafen gehen, vorher nach dem kleinen Wesen horchen, über die Haare streichen und mit einem Lächeln den ganzen Stress vergessen... und am nächsten Morgen weitermachen


II. Tanzen und Kindergarten-Kind

folgt....


* warum ich das weiß: mit dem 8-wöchigen Baby habe ich meine Kurse wieder aufgenommen, mit 10 Wochen startete die jom-Ausbildung, mit 12 Wochen waren wir auf dem ersten Auslandsfestival, mit 16 Monaten erhielt ich den 2. Platz „Cairo by Night“ in Stockholm, mit 22 Monaten schloss ich die jom-dance Ausbildung ab, mit 27 Monaten holte ich den Titel der deutschen Meisterin, mit 28 Monaten den 1. Platz beim RaksSharki Wettbewerb im St. Petersburg, mit 29 Monaten Teilnahme an Bellydance Evolution, mit 30 Monaten eigenes Festival zum ersten Mal mit ausländischen Stargästen...
mit 3 Jahren und 9 Monaten denke ich über das zweite Kind nach, denn ich merke, ich werde wieder langsam faul :D 

1 Kommentar:

  1. Das ist ein so wunderbarer Artikel!!! Ich habe es mit Genuss gelesen. Bald steht für mich auch die Zeit als Mama an und ich bin selbst schon total gespannt, welche neuen Erfahrungen ich mache.

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