Freitag, 9. Januar 2015

Glaube an das Unglaubliche

Anastasya Korobova ist erst 11 Jahre alt, lebt in Russland, ist zierlich, schüchtern und scheint ein ganz normales Mädchen zu sein. Doch wenn die Musik erklingt, und Anastasya beginnt zu tanzen, bleibt dem Zuschauer der Atem weg und die Tatsache, dass das, was man sieht, real ist, ist so unglaublich, dass man es sehen muss, um es zu glauben. Zu ihren Referenzen gehören mittlerweile Engagements auf den besten Festivals im Ausland, mit ihr arbeiten die berühmtesten Choreographen (wie Natalia Fadda, Azad Kaan, Nadia Nikishenko u.a.) und sie zählt über zwei Hundert Goldmedaillen und Pokale. Diese Popularität hat das Mädchen ihrer perfekten Plastizität und Technik, wunderschönen und anspruchsvollen Choreographien, aber auch deren Verständnis und deren eigenartige Umsetzung und natürlich auch den Emotionen, die denen eines Erwachsenen gleichen, zu verdanken. Auf und hinter der Bühne ist ihre Botschaft die Liebe zum Tanz, der Wunsch, Freude zu bringen und der Moment, die Magie und die Schönheit des Tanzes zu fühlen. Ich habe Anastasya zum ersten Mal auf youtube gesehen und habe auch zuerst meinen Augen nicht getraut. Ein Jahr später traf ich sie auf einer Tanzreise in Istanbul und konnte nicht widerstehen, diesem Mädchen meine Begeisterung auszusprechen und sie kennen zu lernen. Aus dem Kennenlernen wurde Freundschaft. Wir trafen uns auf Festivals, facebook, scype und im Mai kam sie schließlich mit ihrer Mutter nach Deutschland zu dem „MartaInGermany“-Event. Im August waren meine Tochter und ich zu Gast bei ihnen in Nischni Nowgorod und lernten auch deren Alltag kennen. Weil es immer wieder kritische Diskussionen um sie, ihren Tanz und alles drum herum gibt, habe ich Fragen gesammelt (an dieser Stelle ein Dankeschön an Anna-Lena Tylle (Studentin der Sozialpädagogik.), Mela Malaica, Susanne Hilse „Bellydance-Dreams“ und Kinder aus meinen Kindergruppen), und Anastasya und ihre Mutter Swetlana haben diese gerne beantwortet. Mit diesem Interview hoffe ich einige Fragen aus der Welt zu schaffen und damit die vorher geäußerte Kritik zu mildern und vielleicht ein Paar neue Fans anzusprechen. Anastasya ist noch ein Kind und tanzt weder wegen Ruhm noch wegen Geld. Sie tanzt aus dem Grund, aus dem jede von uns mal angefangen hat zu tanzen - aus Begeisterung und Liebe...


Swetlana, Anastasya tanzt seit ihrem dritten Lebensjahr, wie hat alles angefangen? Und wer ist oder war ihr prägender Lehrer?
Swetlana (schmunzelt): ich habe selbst getanzt und Anastasya war seit ihrem zweiten Lebensjahr immer mit mir zum Unterricht. Mit drei fing Sie selbst an zu tanzen und war eines der wenigen Kinder der Schule, jetzt haben wir über hundert. Mit vier präsentierte sie die Schule auf der Bühne. Kristina Shishkina ist ihre erste Lehrerin. Bei ihr trainiert Anastasya bis heute Bellydance und Standard & Latein Tanz.

Anastasya, auf der Bühne sehen wir eine grandiose Leistung und, weil die meisten der Leser auch selbst tanzen, wissen wir wie viel Training das erfordert... Wie oft und wie trainierst du in der Woche? Machst du noch andere Sportarten? Und was machst du in deiner Freizeit?
Anastasya: Ich trainiere durchschnittlich 1,5 Stunden pro Tag. Zu meinem Training gehören neben dem Tanztraining auch Standard Tanzen, das Schwimmen, Balletttraining an der Stange. In meiner Freizeit treffe ich meine Freundinnen und unternehme irgendwas. Im Sommer fahre sehr gerne zum Meer...


Wenn Du reist, bekommst du auch die Städte zu sehen?
Anastasya: Ja. Ich liebe Reisen, durch die Städte zu bummeln, mir alles anschauen zu können und zu shoppen.

Fürst du ein Tagebuch oder Album mit Erlebnissen?
Anastasya: Ein Tagebuch

Was hat dich zum Tanz inspiriert?

Anastasya: Ich liebe die Musik, die Bewegungen, und die Art und Weise wie beides zusammen kommt...
Wer war dein prägender Lehrer?
 Hast du Vorbilder?
Anastasya: Meine Lehrerin Kristina... weil ich bei ihr seit meinem 3. Lebensjahr bin und sie mir sehr viel beigebracht hat. Sie trainiert mich und begleitet mich zu den Meisterschaften. Die Choreographien machen wir bei verschiedenen namhaften Choreographen (Azad Kaan, Natalia Fadda, Olga Nur, Nadia Nikishenko..) aber diese auszuarbeiten, ist die Arbeit unserer Kristina...
Delanna: Wer kreiert und näht Anastasyas Kostüme?
Swetlana: Wir haben unsere Näherin, und zusammen realisieren wir meine Ideen...

Viele staunen, wie Anastasya das alles unter einen Hut bekommt? Wie lässt sich das in so jungen Jahren alles vereinbaren, ohne das irgendwas auf der Strecke bleibt? Schule, Freunde, Training, Auftritte usw. Wie gehen du und Anastasya mit der Schulbelastung und den Reisen in andere Länder bzw. innerhalb des eigenen Landes zu Festivals/Wettbewerben/Shows etc. um?
Swetlana: Wir haben eine klare Organisation für die Schule, Tanzen und Erholung. Man braucht nur den Willen...und Belastung... Wir fahren auf die Meisterschaften seit 5 Jahren, die Belastung kam nach und nach und wir sind mit ihr auch gewachsen, deswegen empfinden wir selbst das als Routine und keine Belastung.
Delanna: Anastasya, mit deinen 11 Jahren hast du schon sehr viel, wovon Mädchen in deinem Alter nur Träumen können. Sehr viele Beobachter interessiert, was du noch erreichen möchtest.
Anastasya (versinkt kurz in Gedanken): Ich möchte einfach weiter tanzen.

Fangfrage:) wo siehst du dich in 5 Jahren? Und willst du, wenn du älter bist, beruflich Tanzen?
Anastasya: Als Trainer in einer großen Tanzschule (lacht). Und erzählt strahlend, passend zum Thema, ihr großes aktuelles Ereignis. Vor ein Paar Wochen hat sie einem Mädchen eine eigene Choreographie beigebracht... Oh, nein, kein Tanz-Beruf. Ich wünsche mir, dass das Tanzen mein Hobby bleibt.

Swetlana, wie stehst du dazu, dass der Bauchtanz doch ein eher weiblicher und erotischer Tanz und Anastasya noch ein Kind ist?
Swetlana: In unserer Mentalität gehört zu einer guten Allgemeinbildung neben der schulischen Lehre auch die Lehre der schönen Künste. Dazu gehört auch das Tanzen. Anastasya tanzt den Orientalischen-Bühnen-Tanz... In erster Linie sehe ich die Schönheit des Tanzes, seine Grazie, die Eleganz und Emotionen, die positiven Auswirkungen auf mein Kind. Es geht um den Charakter des Tanzes und das „WIE“ er getanzt wird. Man kann jeder Tanzrichtung einen erotischen Charakter geben... Ich habe eine TOCHTER, sie wächst irgendwann zu einer Frau, die Weiblichkeit ist ihr quasi in die Wiege gelegt worden. Wir hätten diese Tatsache natürlich auch in einem Sport wie Karate verstecken können (lacht), aber die Wahl fiel auf den Tanz… Im Training geht es um die Darstellung des Tanzes, die Positionierung des Körpers, um Verdecken der erotischen „Teile“... Schauen Sie sich im Ballett die zweite Position und all die Drehungen, Sprünge mit einem Knie auswärts an oder rhythmische Gymnastik mit nackten Beinen und anliegenden Bodys an... wo ist mehr Erotik? Und dass der Orientalische Tanz leider diesem Verruf unterliegt, werde weder ich noch eine andere Mutter ändern können.

Was meinst du, was lernt deine Tochter durch den Orientalischen Tanz?
Swetlana: Die Darstellung oder die Präsentation, Benehmen ;), Disziplin, Ausdauer, Selbstbewusstsein (gerade in Russland sehr wichtig), Weltoffenheit.

Swetlana, was machst du, wenn Anastasya von einem Tag auf den anderen entscheiden würde nicht mehr zu tanzen?
Swetlana: Im Moment ist Anastasya verliebt in den Tanz und ich liebe ihre Leidenschaft mit und unterstütze sie soweit es geht. Sollte es zu dieser Entscheidung kommen, werde ich es akzeptieren...
Aber wie schon erwähnt, das ist ein Teil der Allgemeinbildung. Wir investieren in die Entwicklung des Kindes ALLES - Zeit, Geduld und Geld. Das Ziel dabei ist, dem Kind alle Möglichkeiten zu öffnen, was es daraus für sein späteres Leben gebrauchen wird, wird sich noch zeigen...




Wie gehst du mit Kritik um?
Swetlana: Dazu fällt mir ein Zitat von Mohamed Ali ein: „wenn man im Recht ist, erinnert sich niemand dran. Wenn man im Unrecht ist, vergisst es niemand“. Wir verfolgen unsere Ziele, Träume und Visionen. Und wenn man so präsent in der Öffentlichkeit steht, wie Anastasya, dann muss man auch mit Kritik rechnen. Aber Kritik und Wertung sind zwei Paar Schuhe... Anastasya tanzt nicht um zu gefallen, sie tanzt, weil es ihre Begabung und Leidenschaft ist...

Passiert manchmal, dass Anastasya keine Lust auf Training hat?
Swetlana: Nein.

Was hältst du von der europäischen Szene:
Swetlana: Alle Kinder fühlen sich zum Tanz hingezogen, ich sehe auf jeder Competition den gleichen Durst nach dem Tanz, die gleiche Begeisterung der Kinder. Für die Ergebnisse, die die russischen Kinder erzielen, fehlt noch, denke ich, die Ausdauer und die Verbissenheit oder vielleicht auch der Einsatz der Eltern.

An dieser Stelle ein kleiner Einblick in die Wettbewerbsstruktur in Russland.
Swetlana: Das ist ähnlich wie bei dem latein-amerikanischen, man sammelt Punkte und wächst so von einer „Stufe“ in die nächste. Das erfordert eine reguläre und geduldige Teilnahme an den Meisterschaften und verbessert die Fähigkeiten und die Qualität. Man braucht mind. drei Jahre, um von der Anfängerstufe in die höchste Stufe aufzusteigen. Durchschnittlich sind mind. 6 Wettbewerbe pro Jahr bis 4 pro Monat... Wenn man sich für den Weg des Wettbewerbes entscheidet, spielen die einzelnen Plätze nicht so eine große Rolle, die Gesamtentwicklung ist wichtig und wird „belohnt“.

Abschließend Motivation für Kinder und Eltern
Swetlana: Den Kindern wünsche ich Mut und Neugierde um sich in verschieden Sphären auszuprobieren.

Und für die Eltern - Standpunkt wechseln, zumindest offen sein, flexibler gegenüber dem Neuen und Unbekannten und manchmal dem Unmöglichen sein!


Zum Unmöglichen auch ein Zitat von Mohammed Ali:
„Unmöglich – das ist nur ein sehr lautes Wort, hinter dem sich kleine Leute verstecken. Für sie ist es einfacher in einem im gewohnten Umfeld zu leben, als die Kraft zu finden etwas zu verändern. Unmöglich – ist kein Faktum. Das ist nur eine Meinung. Unmöglich – ist kein Urteil. Es ist ein Aufruf. Unmöglich – ist eine Chance sich selbst zu verwirklichen. Unmöglich – ist nicht für immer. Unmöglich ist möglich.“





Anastasya live in Deutschland am 31.05.2014 bei TOTAL ORIENTAL in Nürnberg und am 07.06.2014 bei "360° ORIENT" in Osnabrück.

Interview für HALIMA 2. Quartal 2014


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