Sonntag, 10. November 2013

Interview mit Verahzad


Meine erste Gesprächspartnerin ist Verahzad. Sie gab mir als erste weibliche Tänzerin die Chance, ich zu sein, meine Tanzideen auf ihren Shows zu zeigen und die Choreographien ihren Schülerinnen bei zu bringen. Sie traf auf mich gleichberechtigt und nicht als Lehrerin, zu der sie allerdings dann über die Jahre wurde. Philosophieren, beraten, zuhören, sich mit mir aufregen, manchmal auch in den Allerwertesten treten ;). Ich liebe sie, weil sie in dem ganzen System "Szene" ihren Platz gefunden und erhalten hat. Aber was viel wichtiger ist, neben der Tänzerin sich auch mit der Seite "Mensch" beschäftigt, pflegt und zeigt.

Verahzad, startete mit dem orientalischen Tanz Ende der 80er Jahre und beschloss erst 10 Jahre später Auftrittstänzerin zu werden, was sie bis heute noch ist. Sie zählt zu den Tänzerinnen, die ihr Lebensunterhalt, zwischenzeitlich auch Alleinerziehend durch das Tanzen verdient. Unzählige Arbeit mit arabischen Tänzerinnen, türkischen und arabischen Musikern, Reisen nach Cairo, um die Kultur kennenzulernen und später zum Ahlan Wa Sahlan Festival, Modeln für die Designerin Amira el Kattan, enge Freundin von Sarah Saeeda und Lulu Sabongi, und der Glaube an die innere Kraft der Frau und den Orientalischen Tanz als den Schlüssel dazu sind nur ein Paar Stichpunkte aus einem erfahrungsreichen Tanzleben. 





Über deinen Tanz und dein Leben
Tja , das ist wohl ein abendfüllendes Thema... Da mich der Tanz seit über 20 Jahren begleitet, müsste ich über mein Leben in dieser Zeit berichten. Die wichtigsten Stationen raus zu picken gestaltet sich eher schwierig. Bemerkenswert waren immer meine Kontakte zu meinen Lehrerinnen, die gemeinsam mit meiner Lebenssituation neue Anstösse gaben. Am Anfang waren es wohl Samra, die mich mit meiner persönlichen Einstellung zu Sinnlichkeit und dem Thema Weiblichkeit konfrontiert hat, Sharazad, durch die ich in Oberlethe den Einblick in die Bandbreite und Spiritualität des Orientalischen Tanzes eintauchen konnte, und Beata (damals Zadou), die durch die Ballettorientierung Bestätigung gab, an klarer Tanztechnik zu arbeiten, was mir sehr entgegen kam, da ich selber Ballett gemacht hatte. Als dann Karim Izadi Sterne der Orientalischen Tanzshows in Deutschland organisierte und gleichzeitig ein Boom ausgelöst wurde, eröffnete ich eines der ersten Tanzstudios in Deutschland. Wir luden mit mehreren Sponsoren Internationale Dozenten (Nadia Hamdi, Hoda Ibrahim, Amaya u.a.) ein und organisierten gemeinsame Workshoptourneen. Zu dieser Zeit war es eine sehr persönliche Szene, in der tolle Freundschaften entstanden und wir uns mit unseren Problemen austauschten, unsere Euphorie teilten. In dieser Zeit war Sahra Saeeda, damals noch in Ägypten tätig, eingeladen und wohnte eine zeitlang bei uns. Sie ist seitdem jedes Jahr in Deutschland und eine meiner besten Freundinnen geworden. Meiner Meinung nach eröffnete sie uns Tänzerinnen allen eine neue Orientalische Tanzwelt: sie baute ein Fundament und eine Brücke zum Orient auf, in dem sie uns die Welt des Ägyptischen Tanzes erklärte. Für mich erschloss sich dadurch nach der Zeit des Sammelns von Informationen eine neue Welt der Tanzethnologie, Berücksichtigung der Orientalischen Mentalität, Musik und Kulturkunde und neue Sichtweisen auf ein Gesamtkonzept als Tänzerin. Als Folge musste ich vor Ort mit dem Original lernen, mit Live- Trommler, den Geruch Kairos einatmen, die Pyramiden anschauen, Tänzerinnen vor Ort tanzen sehen,  die ägyptische Herzlichkeit kennen und lieben lernen, die Verehrung und Verachtung von Bauchtänzerinnen erleben usw. Ich glaube, mit Gamila und ein paar Schülerinnen von mir waren wir die ersten Deutschen, die bei dem kleinen ägyptischen Festival Ahlan wa Sahlan dabei waren. Boom, und wieder eine neue Etappe: überall auf der Welt gab es grosse Tanzstudios, wobei jede Nation ihre typischen Prägungen hat. Ich lernte sehr viele Südamerikanerinnen kennen, aber auch Nordamerikanerinnen, Europäerinnen, sah Souhair Zaki bei ihrem letzten WS, erlebte die Ergriffenheit einer Tanzgemeinschaft für ihr Lebenswerk (250 Frauen, die minutenlang weinten und klatschten). Die nächsten Jahre kamen immer mehr Deutsche nach Kairo und teilten inspiriert ihre Passion, das Tanzniveau stieg endlich allgemein an und verschiedene Richtungen bildeten sich aus. Ich entschied mich aus privaten Gründen meinen Schwerpunkt, wie die ägyptischen Tänzerinnen, auf das Entertainment zu legen und nicht nur zu lehren. Ausserdem hat man nie ausgelernt. Ich bin dankbar von so vielen Tänzerinnen unterstützt worden zu sein, mit ihnen auf der Bühne an gemeinsamen Projekten gearbeitet zu haben, dass ich mein Privatleben in den Tanz einfliessen lassen und mich mit ihm entwickeln konnte, dass ich so viele prägende Weggefährten hatte und mich immer noch über eine neue Generation von Tänzerinnen begeistern, mich über zu viel Kommerz und Marketing aufregen, über unterschiedliche Ansätze diskutieren und trotzdem freundschaftlich verbunden zu sein kann, therapeutische und philosophische Aspekte einfliessen lassen kann und mich immer noch mit dem Tanz als meinen wichtigen Lebensweg entwickle.

Über den Unterschied zwischen der Auftritts- und Bühnentänzerin
Das erste, was mir einfällt ist, dass ich als Auftrittstänzerin immer FÜR andere tanze und als Bühnentänzerin MICH tanze. Wenn ich mir eine Show ausdenke, habe ich immer auch eine künstlerische Message gehabt: so wie z.B. den 11. September zu verarbeiten, wo Sahra und ich eine Kriegsszene tänzerisch eingebaut hatten, die uns persönlich sehr ergriffen hat oder mein Riesenschleiertanz zu Chill- out Musik. Es war uns eigentlich egal, was die Leute dazu meinten, weil wir uns mit den Mitteln des Tanzes ausdrücken wollten. Bei Kunst geht es nicht unbedingt darum, ob es gefällt, sondern was ich mitteilen möchte. Auf meinen Shows erlaube ich mir die künstlerische Freiheit, auch andere Tänze auszuprobieren - bzw. den anderen teilnehmenden Künstlern. Meine eigene Erwartungshaltung ist bei Orientalischen Shows genauso: ich möchte neue Ideen sehen, Kreativität auf der Bühne, Trauer, Schmerz, Witz etc. Da geht es eigentlich um Tanztheater mit den Mitteln des Orientalischen Tanzes.
Im Gegensatz dazu versuche ich als Auftrittstänzerin, Menschen glücklich zu machen, ein Klischee zu bedienen. Als Entertainerin (und so verstehe ich mich dann, in der direkten Reihe zu Coverbands, Schlagersängern und Stand-up-Comedians) gehe ich auf die Wünsche der Kunden ein, bleibe in der Oberflächlichkeit: der Kunde erwartet eine schöne, glitzernde Tänzerin, die allen gute Laune macht und die Feier zu einem besonderen Erlebnis macht. Der Kunde möchte ein weisses Kostüm und romantische Lieder mit Schleier - kein Problem. Der Kunde möchte einen rassigen Vamp, der Stimmung verspricht - Ok, 
ich richte mich danach.
Damit mich hier niemand falsch versteht: ich liebe das mehr als alles andere!!! Was gibt es schöneres, als andere Menschen, und sei es nur für einen Abend, glücklich zu machen, sie an die Schönheit des Lebens glauben zu lassen und ihr Herz zu öffnen? Das Niveau eines erfolgreichen Entertainers muss selbstverständlich genauso hoch sein, wie der eines Bühnendarstellers, aber im Unterschied zu ihm muss ich mein Publikum lieben und es einbeziehen, auf meine Reise in den Orient mitnehmen.
Gerade im Orientalischen Tanz geht es in Ägypten, der Türkei, dem Libanon usw. um Entertainment und nicht nur um Selbstdarstellung auf einer Bühne. Tanz ist die direkte Kommunikation! Mit dem Orientalischen Tanz werden Lebensunterhalte verdient, ein neues Frauenbild geprägt, siehe Farida Fahmi, Souhair Zaki und Dina, die übrigens nicht für das gleiche Frauenbild stehen. Tanz wird nicht getrennt von Musikern oder dem Publikum gesehen. Ich tanze ja nun seit über 15 Jahren auf allen national unterschiedlichen Feiern und passe meine Auftritte dem Publikum an. Türken möchten andere Musik als Libanesen. Ägypter brauchen mindestens ein Herzschmerzstück. Russen brauchen mehr Romantik und Show, Deutsche mehr Abstand! Albaner sehen in mir etwas anderes als Griechen. Ihr seht, es ist nicht einfach. Und ich muss immer sehen, dass ich meinen eigenen Stolz bewahre, mir meiner eigenen Identität bewusst bin, meine Moralvorstellungen hochhalte. Ja, das ist die Kehrseite über die sich jede Frau bewusst sein sollte: die Realität ist nicht so geschützt wie die Bühne! Es ist nur ein Job für Frauen, die sich über ihre Macht gegenüber Männern bewusst sein sollten. Ist es umgekehrt, werden sie untergehen, bzw. in die Prostitution übergehen! Es ist eine Gradwanderung, denn so wie du dich als Frau siehst, wird dein männliches Publikum dich wahrnehmen. Begibst du dich in eine Opferrolle, kann es gefährlich werden. Leider gibt es immer noch Bauchtänzerinnen, die wie ein Stück "Dreck" behandelt oder als Sexobjekte missbraucht werden, was wiederum zu dem schlechten Ruf der Autrittstänzerinnen beiträgt. Nur was mich immer geärgert hat, ist, dass GUTE AUFTRITTSTÄNZERINNEN oft authentischer den Orientalischen Tanz wiederspiegeln und einen super Job absolvieren, was in der Tanzszene von vielen belächelt wird. Und sie tanzen FÜR Orientalische Menschen, bringen ihnen ein Stück Heimat für einen Abend, teilen positive Gefühle mit ihnen, weil sie sich das Schönste aus deren Kultur rausgepickt haben.
Ich liebe die Menschen, die Kultur und die Musik des Orients und kann ihnen ein Stückchen meiner Liebe zurückgeben. Ich habe fantastische Menschen über meine Auftritte kennengelernt, interessante, kollegiale Frauen, die sich die Jobs weiterreichen und habe immer noch sehr viel Spass an den Auftritten. Ich kann mir ein anderes Leben gar nicht vorstellen und denke manchmal mit Wehmut daran, dass es ja nun leider zeitlich begrenzt ist. Niemand möchte eine professionelle Tänzerin einladen und dann nur über ihr Alter und Aussehen lästern, was wiederum auf der Bühne nicht so wichtig ist. Da zählen andere Werte!

Über YOGA und den Säbeltanz
YOGA ist eigentlich eine Lebenseinstellung und Geisteshaltung, aber auch Gymnastik mit spirituellem Hintergrund. Anstatt sich einfach nur zu dehnen, bevorzuge ich entspannende Musik zu der ich ausgleichende Dehnübungen aus dem Yoga praktiziere. Yoga ist die ideale Ergänzung für Tänzerinnen, da der Yoga auch einem Tanz ähnelt. Es macht einem die beanspruchten Muskelpartien und Defizite an denen man arbeiten sollte deutlich und macht Spass.
Wer mich kennt, weiss dass mir die Selbsterfahrung und eigene Entwicklung durch den Tanz wichtig ist. Ein Säbel als Verteidigungs- und Angriffsinstrument, symbolisiert meine eigene Stärke, mein Verteidigungspotential, erfordert im Tanzausdruck Posen zu halten, Spannung aufzubauen. Baue ich diese Fähigkeiten tänzerisch aus oder erkenne,  dass sie mir fehlen, kann ich daran arbeiten und mich selber dazu coachen, kraftvoller zu werden. 



Über Veränderungen
Der Ägyptische Tanz ist beständig in seiner Veränderung: massgebliche Tänzerinnen so wie z.B. Fifi Abdou, Souhair Zaki in den 70er/ 80er Jahren, Naima Akef, Taheya Carioca in den 50er Jahren, waren für viele Frauen Vorbilder, um ihnen im Orientalischen Tanz nachzueifern. Dann kam eine Revolution mit Lucy und Dina in den 90er und 2000er, die dem Tanz Raumgrösse gaben und auch das Frauenbild mit veränderten. In den letzten 5-10 Jahren kamen wiederum Einflüsse aus Südamerika und Russland hinzu, die das Tanzniveau nochmal angehoben haben, indem Elemente aus Ballett und Contemporary Dance einflossen, was die Original- Tänzerinnen in ihr Tanzrepertoire einfliessen lassen. Für uns ist die Herausforderung, diese Veränderungen mitzutragen und den Orientalischen Tanz auf ein neues internationales Tanzniveau zu heben. Der Orientalische Tanz hat seine eigene Berechtigung, aber Tanz bedeutet immer auch Entwicklung.

Über die politische Lage in Ägypten und Oum Kolthoum
Zu der politischen Lage: ich bin ein grenzenloser Optimist, was die Entwicklung der Menschheit angeht. Ich glaube an den jugendlichen Idealismus und die positive Veränderung. Erstmal muss die Mubarak Zeit verarbeitet werden, das Frauenrechte - Thema in Ägypten angegangen werden, die Armut bekämpft, der Fundamentalismus in seinen Ursachen und Radikalität verstanden werden, die Umweltpolitik speziell in Kairo angegangen werden und erst dann kann was neues entstehen... Die Pyramiden sind auch nicht an einem Tag erbaut worden. Ägypter haben ihren Glauben und eine sehr liebevolle Art im Umgang miteinander. Schlechte Menschen gibt es leider überall, aber langfristig wird die neue Bewegung siegen! Und an alle Miesmacher: wenn wir alle Lichtgedanken in die Dunkelheit schicken, wird es auch schneller hell!!
Was aktuell an Oum Kolthoum ist, ist ihre Gefühlswelt, die für alle Menschen gleich ist. Wir spüren alle Liebe, Hoffnung, Schmerz, Trauer, Wut, Resignation etc. Das wird mit ihrer meisterhaften Interpretation in den wunderbaren Stücken spürbar. Ausserdem hat sie Musik als wichtigsten Antriebsmotor der Menschheit verstanden, war eine idealistische Person, die ihr Leben der Kunst gewidmet hat und andere Künstler auf ihrem Weg mitgenommen und geschätzt hat. Sie war eine der herausragendsten Personen des letzten Jahrhunderts (schaut euch mal ihre Beerdigung an). Sie lehrt uns Respekt und Liebe füreinander. Sie hat damals die traditionelle Orientalische Musikwelt revolutioniert und Einflüsse aus der westlichen Musikkunde übernommen und damit zu einer Öffnung verholfen, die in die Köpfe und Herzen der Menschen ging. Als Technobeats in die Musik kamen, wurden sogar Oum Kolthoums Lieder neu vertont. Als Tänzerinnen profitieren wir von der Vielfältigkeit und Tiefe ihrer Musik, die uns zu unseren eigenen Gefühlen führt.

Über die Liebe
Was uns in allen Lebensbereichen trägt, ist die Liebe. Wer Liebe in all seinen Facetten verspürt hat, den Schmerz, die Sehnsucht, die Angst um einen geliebten Menschen und vor allem die bedingungslose, glückliche Liebe, der kann im Tanz seine Liebe ausdrücken und wird Menschen durch seine Ausdrucksfähigkeit berühren. Das ist die Essenz von Tanz: mit anderen Menschen ein Gefühl zu teilen, sich verbunden zu fühlen. Liebe ist ein Hauptthema in der Musik, also sollten wir als Tänzer(-innen) das auch spürbar machen. 

Über die Hoffnung
Ich habe immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, dass der Orientalische Tanz einen hohen Stellenwert als eigenständige Tanzform bekommt. Wir, Orientalischen Tänzerinnen, müssen ein grösseres Selbstbewusstsein bekommen, worin sich unser Tanz von anderen unterscheidet. Wir integrieren seit Jahren alle möglichen zeitgenössischen Trends, so wie Ballett, Contemporary, Flamenco, Tango , Hip- Hop etc. Aber die Tiefe unseres speziellen Tanzes muss mehr hervorgehoben werden: wir beziehen uns in diesem Tanz auf Weiblichkeit als Klischee, und das hat einen eigenen Wert!!! Nur weil wir uns hübsch machen, lange Haare haben, Glitzerkostüme tragen, sind wir noch lange nicht oberflächlich! Es ist die Schönheit in uns, die wir nach außen tragen wollen. Wir haben alle eine Sehnsucht nach Glitzer. Hundertwasser hat einmal gesagt, dass jeder Mensch das Recht auf ein bisschen Gold und Silber hat. Gold und Glitzer stehen symbolisch für das Licht in uns, für das, was aus der Dunkelheit, dem Alltag, aus uns heraus strahlt. Ich habe die Hoffnung, das wir uns von dem elitären, westlichen, männlichen Kunstgedanken befreien und eine neue weibliche Definition von Kunst entwickeln. Orientalischer Tanz vereint hohe musikalische Kunst mit Tanzperfomance. Und wem das nicht gefällt, der kann doch Contemporary Dance tanzen, oder?

Über Vereinbarkeit von Tanz und Lebensrealität
In erster Linie war und bin ich die ganzen Tanzjahre Mutter! Teilweise finanziell alleinerziehend und habe immer schon ausschliesslich vom Orientalischen Tanz ( Shows und Unterricht ) gelebt. Jahrelang hatte ich eine sehr unterstützende Putzfrau, ohne die ich das alles nicht geschafft hätte und super liebe, und verständnisvolle Kinder. Meine besten Freundinnen tanzen Gott sei Dank auch, so dass wir neben Privatem auch immer Austausch über den Tanz haben, denn der dominiert schon arg mein Leben. Manchmal war ich schon traurig, dass ich an Wochenenden nichts mit Freunden planen konnte, aber daran, wie z.B. kein Sylvester zu feiern, habe ich mich gewöhnt. Ich habe den Tanz auch immer als persönliche Entwicklungschance begriffen und meine Lebensthemen in den Tanzunterricht einfliessen lassen. Nach den ersten Jahren ohne Privatleben, habe ich beschlossen, mehr Grenzen zu ziehen. Ich glaube, dass ich gar keine richtige Trennungslinie mehr ziehen kann, weil ich schon so lange in dieser Tanz – Frauenwelt lebe. Eigentlich bin ich froh, dass ich als Künstlerin die Chance habe, davon zu leben und bin wahrscheinlich für einen „ normalen „ Job verdorben. Meine Realität ist sehr orientalisch, südamerikanisch und in vielen Dingen auch deutsch. In meiner Stadt bin ich akzeptiert und muss nicht gegen Vorurteile kämpfen. Es ist wie es ist!







Hallo... oder wer, was und wieso?



Alles ändert sich: wir, die Gesellschaft, die Einstellung zu Zeit und Raum, zu sich selbst, zum Hobby und auch zum Tanz. Schneller, größer, besser und immer anonymer... Die Shows können auf youtube angeschaut, das Tanzen nicht nur durch DVD´s sondern auch in den online Kursen gelernt werden. Zu einer Probestunde kann man sich auch per Mail um 2:00 Uhr nachts anmelden, und durch die Smartphones diese auch direkt um 2:05 Uhr aus dem Bett beantworten und gleich auch 100 andere Freunde, die man nicht kennt, dazu einladen. Grenzen setzen, Freiräume schaffen und sich Zeit für Inspirationen nehmen - schwierig, wenn die Strömung das Tempo vorgibt... Bei meiner letzten Reise nach Cairo habe ich etwas Unbezahlbares gelernt - Teetrinken, stundenlanges Teetrinken... Es hat eine Woche gedauert, bis ich dabei stillsitzen und den Tee auch schmecken konnte. In Deutschland angekommen, hat mich das hiesige Tempo wie ein LKW mit dem vollgeladenen Anhänger gegen die Wand gedrückt und das Teetrinken wurde nach einer Woche eingestellt, und es folgte eine Art Depression... Das Bedürfnis immer auf dem neuesten Stand zu sein, mitzuhalten und Ansprüchen (eigenen wie fremden) zu genügen, ist enorm. Sich selbst dabei treu zu bleiben, eigenes Tempo zu haben und sich selbst nicht zu verlieren – das ist eine der Herausforderungen meiner Generation. Was ist Schein und was ist Realität? Verliert der Tanz an Leidenschaft und an Traumhaftigkeit, wenn er zum Beruf wird? Wo ist die Grenze zum Business? Ab wann tanze ich, um zu gefallen? Kann man die Leidenschaft zum Tanz in der heutigen Zeit und Szene aufrechterhalten? Kann man die Entwicklung des Tanzes vom Exklusiven hin zum Massenprodukt in einer Konsumgesellschaft wie die unsere noch gut heißen? Und warum diese Gedanken? Keine Ahnung! Ich bin 30, Mutter eines 3-jährigen Mädchens, fast alleinerziehend, und Tänzerin, liebe Cairo (und seit neuestem auch Russland), meine Familie und den Tanz... Die Orientalische Szene ist voll von Strömungen, Ideen, Ausbildungen, Regeln, Business und jeder Menge Frustrationen...

Vor der Geburt meiner Tochter war ich auf der Suche nach der perfekten Technik, Choreographie, Vorbildern und Erfolg. Ich bin seit drei Jahren wieder auf der Suche - der Suche nach dem Sinn im Tanz. Und wie jede Suche bringt sie Erkenntnisse, Erfolge und Misserfolge mit sich.
Die meisten Erkenntnisse und Ideen, positiven wie negativen, aber auch Kraft und Motivation haben sich aus den zahlreichen Gesprächen entwickelt. Man versteht eine Tänzerin, ihren Tanz und manchmal auch ihre Entscheidungen besser, wenn man ihre Geschichte kennt. Back to the roots, entgegen der modernen Kommunikationsmedien, wo die Tänzerin aufgrund ihrer Tanztechnik, Anzahl und Schwierigkeitsgrad ihrer Choreographien, Virtuosität und der „Likes“ auf verschiedenen Internetplattformen kennen gelernt wird... Meine letzte Gesprächspartnerin war Natalia Fadda. Am Ende gab sie mir ein bereits 2009 veröffentlichtes Interview mit auf den Weg. Die Gespräche und das Interview lösten bei mir „Magenkrämpfe“ aus. Mitten in Moskauer Metro habe ich geweint... Das war gleichzeitig der letzte Auslöser für die Gründung dieses Blogs. DIALOG mit Tänzerinnen über Tanz, Leben und alles andere für mehr Verständnis und mehr Respekt und nebenbei auch vielleicht etwas Inspiration. Das ist die Botschaft und die Idee.


Willkommen beim TanzDIALOG!