Freitag, 14. August 2015

Gedanken über Improvisation...

... aus einem der nächtlichen Gespräche mit Nadine während der Afrika Tage 2015 in Wien.

Im Bericht von Josephine Pfost über 360° Orient – Show las ich folgenden Satz, der mich noch lange beschäftigte, Ein kleiner Wehrmutstropfen ist, dass die Tänze choreografiert waren
Dazu kommt der (un)ausgesprochene Eindruck, dass Improvisation für die Qualität einer Tänzerin spricht. Man findet Improvisation in den Titeln von Tanzvideos, Improvisations-Workshops bis hin zu den Kriterien in den Wettbewerbsanforderungen.

Was ist mit mir? Ich tanze fast immer improvisiert für die „Laien“, sprich in Restaurants, Bars und Privatauftritten, aber immer seltener auf der Bühne. Warum eigentlich? Aus dem gleichen Grund, wie auch wahrscheinlich der Rest – Der Druck unserer Szene wird immer größer, die „Fehler“ unverzeihlicher, perfekt tanzende Konkurrenz immer härter.

Nadine arbeitet seit zwei Jahren in Hurgada und lebt den Traumberuf Tänzerin aus. Sie tanzt in der Woche (!) 15 bis 20 Shows... (am liebsten hätte ich alle ihre Geschichten aufgeschrieben)

Während den Gesprächen mit Nadine über meine Luxor Abenteuer und ihre Arbeit in Hurgada sind wir auf einen Gedanken gekommen. Der Begriff Improvisation hat in Deutschland/Europa eine verzerrte Bedeutung. Man hat hier quasi den Eindruck, die „Improvisation“ impliziert, dass die Tänzerin in der Lage sein muss auch ein unbekanntes Stück auf Anhieb tanzen zu können. Gut zu tanzen. Orientalisch.

Aber der Ursprung lehrt uns anderes. Was unter „Anhieb“ missverstanden wird ist im Mutterland des Orientalischen Tanzes im Blut und falls jemand jetzt lächelt und den Bericht schließen möchte, weil diese Erklärung zu einfach ist, nein, ich meine es tatsächlich ernst, beziehe es aber auf das aufwachsen in einem bestimmten Umfeld, unter bestimmten Voraussetzungen und Gewohnheiten. Demnach könnte Improvisation zuerst eine Lebenseinstellung und danach erst eine Tanzform sein... Um eine Wertung zu umgehen haben wir die Gedanken dazu in einer Gegenüberstellung sortiert. Nutzt es als Anstoß zur eigenen Schlussfolgerung.

Hintergrund::
Die ägyptischen Tänzerinnen wachsen mit den Liedern, die sie dann schließlich „improvisieren“ von Klein auf. Sie hören sie im Radio, TV, Konzerten, kennen, singen, pfeifen, summen, trommeln diese auf der Tischplatte... Mit aller Wahrscheinlichkeit tanzt keine Orientalin ein Lied, das sie nicht kennt.

Die europäischen Tänzerinnen lernen diese erst im Unterricht, Youtube, what ever, erst wenn die Zeit gekommen ist sie zu kennen, bemühen sich um die Übersetzung und sind mit einer großen Menge auf ein Mal konfrontiert und müssen auch ziemlich schnell so viele wie möglich auch drauf haben, um mit dem Tempo mithalten zu können. 

Häufigkeit der Übung
Die BERUFstänzerin in Ägypten tanzt JEDEN Tag, mehrmals. Und wohl, wie oft, immer das gleiche. Wie eng ist die Grenze zu einem Lied immer das gleiche mit minimalen Abweichungen zu tanzen und der Choreographie? Sie ist dem Druck einer Europäerin nicht ausgesetzt, das beste zu geben, sondern nur ihren Job gut zu machen. Das Publikum zu unterhalten. Und dafür braucht sie keine überkonstruierte Bewegungen und Bewegungsfolgen, sondern genügt mit einer guten und stabilen Basis. Bauchtanz ist einfach.

Wie oft tanzt eine Europäische Tänzerin auf der Bühne? Vier Mal im Monat?
Meinem Gefühl nach, definiert sich unsere Bühne eher als Bewerbungs- Behauptungsplattform als als Unterhaltungssaal. Wer den größten Eindruck auf der Bühne hinterlässt, wird anerkannt und darf evtl. im nächsten Workshop Gage bekommen. Das ganze wird dann unter dem Begriff „Kunst“ abgesprochen, weil Kunst ist ja nicht Geldbringend ist (oder im besten Falle erst nach dem Tod ;)). Das ist vielleicht ein anderes Thema, aber der Grundgedanke ist wir tanzen ZU selten (auf der Bühne) und wir arbeiten nicht auf der Bühne. 

Tanzen jeden Tag vor Publikum hat die positive Nebenwirkung, dass man sein Energielevel kennen lernt, seine Lieder, es kommt zu einer Routine und damit einer gewissen Entspanntheit, die wir so sehr an den Ägypterinnen bewundern. Heute nicht, morgen. Außerdem ist die ägyptische oder in Ägypten tanzende Tänzerin nicht der Situation und dem Druck ausgesetzt ein Stück einmalig (im besten Falle ein Paar Mal) tanzen zu dürfen, weil das nächste neue Video schon wieder auf Youtube gehört, um wiederum den Traum vom Tänzerinnenberuf näher zu kommen... oder ist es was anderes, was das Ziel ist?

Länge der Musik
Was für ein Druck habe ich, dass ich in 3:30 min (bis 5 min) mein bestes geben soll. Das Publikum wahrnehmen, Gefühle zu fühlen, reagieren, Musik hören, Nuancen raus hören.... Die Tänzern in Ägypten hat ein Abendprogramm, eine Band die sie kennt, und mit der sie kommunizieren kann, sie kenn die Musik wie ihre Garderobe und ist bereit jeder Zeit auf Veränderungen einzugehen oder zu verändern. Und ihr Repertoire dauert nicht unter 45 Minuten...

Die Tänzerin in Ägypten arbeitet. Und Arbeit heisst, wie hier auf den Afrika Tagen in Wien flexibel sein, sich an die Umstände anzupassen. Dabei komme ich zu einem sehr wichtigen Punkt

Glamour-SPA-Einstellung
Die Berufstänzerin ist nicht verwöhnt!!! Tanzteppich? Klimaanlage? Backstage Koordination? Perfekter Sound? Licht? Background? Spaß? Zeit für Backstage Selfies?

Sahra Saeeda ordnet bei JtE 1 die Tanzsituation in Tische ein, von Homestyle bis zum Stage-Bellydance.
Unsere Gegenüberstellung ist uns nicht gelungen, weil wir keine Bühne und kein Theater in Ägypten für Bauchtanz finden, wie wir es in Europa haben. Er gehört da einfach nicht hin. Das ist reine europäische Erfindung. Sowie die Glamour Camps, Festivals, kostenloses Tanzen bei dir oder bei mir, Fusion im Orientalischen Tanz, Ausbildungen, Wettbewerbe etc....

Aber die Sehnsucht nach Improvisation bleibt.... Ist sie aber mit der Bühnenwelt vereinbar?

Mein Lieblingsspruch von Nadine ist „So schön Tanzen auch ist, aber wir machen nichts wichtiges... Weder retten wir leben, noch verändern wir die Gesellschaft zum besten“ und ich ergänze es damit, dass die wenigsten von uns überhaupt als Tänzerin arbeiten.



Also entspannt euch! Bleibt auf dem Boden der Tatsachen,
auf dem es definitiv nicht genug Glitter gibt....

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